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Dokument und Desaster – Zukünftig vergangene Gegenwart
Maik Schlüter
Desaströse Landschaften: Baustellen, Bagger, Fundamente, Brachflächen, Abrisshäuser, Absperrungen, Überwucherungen, Rohbauten oder Gerüste. Thomas Bruns zeigt Orte der Umformung mitten in Berlin. Die Stadt ist seit 1989 kontinuierlich in Bewegung und vielen städtebaulichen Veränderungen unterworfen.
Architektur und öffentlicher Raum sind gleichzeitig auch die Austragungsorte politischer, sozialer und ökonomischer Kämpfe. Allzu offensichtlich sind die Verdrängungsprozesse und Verteilungskämpfe, die sich an Besitz, Nutzung, Funktion von Flächen und Bauten und an Miet und- Verkaufspreisen festmachen lassen. Jedes Nutzungskonzept für den städtischen Raum ist auch Ausdruck einer komplexen soziologischen Entwicklung und stellt gerade in Berlin immer auch historische Kontexte und kulturelle Prämissen zur Diskussion.
Veränderungen dieser Art zu dokumentieren und einen Kommentar zu formulieren ist eine wesentliche Strategie zeitgenössischer Fotografie. Thomas Bruns' Bilder sind in diesem Sinne eine Kritik an der allgegenwärtigen Transformation der Stadt Berlin im 21. Jahrhundert und eine Reflexion über die Ausdrucksmöglichkeiten einer analytischen Architekturfotografie. Die meist ruhige und gleichmäßige Lichtsituation und der klare Bildaufbau erzeugen trotz der strengen Komposition ein Gefühl der Beunruhigung und lassen die Situationen ungreifbar und instabil erscheinen. Die methodische Vorgehensweise des Fotografen zeigt eindrücklich, wie massiv und konsequent städtebauliche Veränderungen vorgenommen werden. Denn durch diese Bauprojekte wird auch ein neues politisches, ökonomisches, soziales oder kulturelles Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht.
Thomas Bruns ist einerseits fokussiert auf die zufälligen Konstellationen und Konstruktionen, die im Sog dieser Umbauten und Neubauten sichtbar werden und die von kaum jemandem in ihrer vielschichtigen Ästhetik gewürdigt werden. Hier folgt er einer fotografischen Tradition, die im Abseitigen das zentrale Moment erkennt. Und macht mit seinen Fotografien sichtbar, was aus dem allgemeinen Raster der Sichtbarkeit und Relevanz herausfällt. In der prekären, ephemeren und zufälligen Beschaffenheit der Welt erkennt Thomas Bruns die eigentliche Qualität der urbanen Wirklichkeit. Zum anderen bringt er damit aber auch eine Skepsis gegenüber den gestylten, geplanten und funktionalisierten Räumen zum Ausdruck, die alle einer spezifischen Ästhetik von Funktion und Repräsentation folgen.
Bruns zeigt Brachflächen, Baustellen und teilweise die kläglichen Überreste von eben noch stehenden Gebäuden. Das, was gestern noch als State of the Art galt, ist heute schon Makulatur. Die Architektur von heute, gefeiert und verkauft, kann morgen abgestempelt und abgerissen und zum städtebaulichen Desaster deklariert werden. In den Leerstellen der Stadt und ihrer Bebauung lässt sich daher ein viel größerer und nachhaltigerer Schatz bergen. Anhand dieser unübersichtlichen Areale, die jenseits der bewussten Planung entstehen, lässt sich auch eine Art Psychogeografie der Entstehungsprozesse nachzeichnen. Denn die unbewussten Markierungen sprechen eine eigene Sprache widersprü chlicher Formen und Zeichen. Der Funktion wohnt immer auch das Dysfunktionale inne, der Struktur die Willkür, dem Plan das Planlose oder der Ordnung das Desaströse. So werden aus scheinbaren Dokumenten künstlerische Statements, die beharrlich am vermeintlich wichtigen Ereignis vorbei fotografiert sind.
Auch wenn Thomas Bruns in seinen Bildern nicht explizit darüber spricht, zeigt der Fotograf eine Infrastruktur, die einen langen und desaströsen Vorlauf hat: die Zerstörungen durch den 2. Weltkrieg und als Resultat daraus die Spuren der Teilung der Stadt. Das verbindet die Arbeit von Thomas Bruns mit der des Berliner Fotografen Michael Schmidt und seinem umfangreichen Werkkomplex »Berlin nach 45«. Schmidt fotografierte in Schwarz-weiß, komponierte strenge und kompromisslose Bilder und zeigte eine Stadt voller Tristesse und Härte. Auch wenn keine Menschen darin vorkommen, sind seine Bilder ein soziopolitischer Kommentar über den Mauerkoller und über betonierte Gefühlswelten. Immer wieder sieht man in Schmidts Bildern die Brachflächen, Brandmauern und Baulücken, die der Krieg hinterlassenhat. Thomas Bruns geht zwar anders vor und fokussiert viel stärker auf den Moment er Veränderung und zeigt uns, wie mit brachialer Gewalt neue Welten gebaut und Oberflächen versiegelt werden. Dennoch sind seine Bilder geprägt von der historischen Tabula rasa der Kriegsschäden. An die mögen sich die Bauherren und Investoren, die Käufer und Verkäufer von Wohn- und Geschäftsviertel nicht mehr erinnern, dennoch ist diese vergangene Wirklichkeit so etwas wie eine unsichtbare Folie für die Bilder von Thomas Bruns. Das Desaströse seiner Stadtlandschaften liegt nicht nur im zufälligen und chaotischen Moment der Bautätigkeit und des Übergangs, sondern kann auch als ein Wechsel auf die Zukunft gelesen werden. Einige der Gebäude, die Bruns heute im Verfalls- und Abrissstadium fotografiert, wurden gebaut, als Michael Schmidt 1980 seinen unprätentiösen Blick auf die Stadt richtete. Einige Baulücken, die damals geschlossen wurden, sind jetzt wieder vakant. Wer weiß, was die Zukunft bringt? Vielleicht sind die Bilder von Thomas Bruns die Zeichen einer Zukunft, die bald schon wieder Vergangenheit ist.
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Reanimation
Catherine Nichols
»Reanimation«, eine Wiederbelebung, eine Wiederbeseelung – wovon? Der Titel der Intervention von Thomas Bruns im Präparate-Saal des Medizinhistorischen Museums der Charité ist zwar mit keinem Fragezeichen versehen, doch die Frage, das Fragende scheint implizit. Denn so wie jede Wiederbelebung, jede Wiederbeseelung auf ein offenes Ende hinausläuft, stellt auch diese Reanimation weniger ein Resultat dar, als einen Vorgang, einen Versuch, eine Prozedur. Aber was genau geht hier vor?
Ein Künstler stellt Fotogramme in Vitrinen, zeigt sie nicht auf einer neutralen weißen Wand, nicht in der Abgeschlossenheit eines Buches oder Albums. Ein Künstler öffnet medizin-historische Vitrinen und stellt kleinformatige Schwarzweißfotografien von einer nicht entzifferbaren, sich körperlich entfaltenden Materie hinein. Ein Künstler stellt ästhetische Bilder zu pathologischen Präparaten, Organisches zu Organen, beseelt wirkendes Unbeseeltes zu unbeseelt Wirkendem einst Beseeltem; er stellt zweidimensionale Aufnahmen von abstrakt-organischen Formen zu dreidimensionalen Abnahmen aus menschlichen Körpern, die in Gläsern vereinzelt präsentiert ihrem Zusammenhang ebenso entrissen sind.
Mit anderen Worten, er stellt eine geschlossene Werkgruppe in eine geschlossene Präparatesammlung und sprengt damit Rahmen und Vitrine zugleich. Einmal geöffnet, geht die Vitrine, wenn man so will, nicht so leicht wieder zu. Denn so subtil und sanft Bruns’ Eingriff auch sein mag, so sezierend und suchend sein Blick, prallen in der Gegenüberstellung von Kunst und Medizin zwei Welten und zwei Sprachen, zwei Sehgewohnheiten und zwei Fragestellungen aufeinander. Einmal mehr muss man sich fragen: Was genau geht hier vor?
Betrachtet man die medizinischen Artefakte, so steht man in einer wissenschaftlich und historisch aufgearbeiteten Sammlung menschlicher Organe, die der weltberühmte Pathologe Rudolf Virchow im 19. Jahrhundert anlegte. Die aufgereihten Gläser in aufgereihten Vitrinen erzählen nicht nur im Sinne Virchows vom Verlauf und Erscheinungsbild verschiedener Krankheiten und fleischlicher Anomalien, sondern auch vom Verlauf der Medizin-geschichte: Über die Evidenzen der krankheitsveränderten Organe hinaus wird von der Entwicklung des Krankenhauses zum Ort der Forschung erzählt, von der wachsenden Systematisierung und Klassifizierung der menschlichen Anatomie und von der Ausweitung des medizinischen Blicks, der mit der Pathologie unter die Haut ging, ins Leibesinnere eindrang, den Körper sektionierend, parzellierend, objektivierend. Doch bei aller wissenschaftlichen Distanz erzählen die Objekte unweigerlich auch vom Tod, vom Schmerz und Leid, wenn ihre Viszeralität uns anzieht oder abstößt.
Betrachtet man hingegen die Fotogramme von Thomas Bruns, erfährt man eine andere Art von Auseinandersetzung mit dem Organischen. Angeregt durch die Beobachtung eines alltäglichen Verfallsprozesses, von der Art, die wir alle gelegentlich im eigenen Kühlschrank verfolgen dürfen, richtete Bruns Ende der 1990er Jahre seinen Blick unter anderem auf das verwesende Fruchtfleisch von Avocados, die unbeachtet vor sich hin lebten, Formen, diefür ihn in ihrer Verwandlung und Fragilität an menschliche Substanz denken ließen. Im lichtlosen Raum legte der Künstler die sich selbst abschälenden Häute des alternden Kerns auf lichtempfindlichen Film; ohne Bezüge, ohne Perspektive wurden die Fragmente der aufgebrochenen Frucht mit ihren Einrissen und mitunter erotischen Konturen belichtet, um ein konzentriertes, jedoch fast immateriell wirkendes Bild der Materie zu produzieren.
In den Schärfen und Unschärfen der herzförmigen Teile kommt etwas zum Vorschein, das sich am Rande des Wahrnehmbaren bewegt, eine festgehaltene Vergänglichkeit, die dem suchenden Blick immer etwas vorenthält.
Begleitet von den Fragen wo sich die Grenzen des Lebenden befinden, was noch von dieserWelt ist, und wie wir uns als Menschen in dieser Welt erfahren, setzte sich Bruns in dieser Arbeitsphase mit verschiedenen organischen Materien wie Speck oder toten Fliegen auseinander und beschäftigte sich mit unterschiedlichen bildgebenden Verfahren. Analog wie digital, mit oder ohne Kamera, versuchte er Grenzen des Sichtbaren auszulotenund im unvermeidbaren blinden Fleck Möglichkeiten der Reflektion, des Nachdenkens aufzuspüren. Während seine darauf folgenden Arbeiten ihn aus der Abgeschiedenheit des Ateliers führten und seinen Fokus auf Innen- und Außenräume verlagerten – darunter die Pathologie und die Psychiatrie der Charité –, greift er mit seiner aktuellen Intervention im Präparatesaal diesen früheren Reflektionsprozess wieder auf und stellt ihn in einen neuen Raum. Was im Licht der Dunkelkammer zur Erscheinung gebracht wurde und was aus dem hellen Sektionssaal geborgen wurde, steht sich jetzt gegenüber. Aus der Kollision von zwei unterschiedlich aneignenden Blickweisen entsteht ein weiteres »bildgebendes Verfahren«.
Doch welches neue Bild wird denn durch diese gegenseitige Verfremdung gegeben? Behalten die Fotogramme ihre Autonomie, oder werden sie zu diffusen Bildunterschriften der Präparate? Behalten die Präparate ihren geschichtswissenschaftlichen Auftrag, ihren Artefaktencharakter, oder werden sie zu skulpturalen Elementen einer künstlerischen Installation? Oder entsteht ein changierendes Verhältnis zwischen Bild und Objekt? Kommt es darauf an, wer hinschaut, welches Organ man sieht, wie abstrakt oder konkret es scheint, welche Erfahrung man damit verbindet? Verleihen die Präparate den röntgenartigen Fotogrammen eine gesteigerte Schärfe, oder erscheinen die Präparate wiederum immer unschärfer, die Wissenschaft immer unbestimmter? Werden die Körperfragmente wiederbeseelt? Entstünde dann eine Ganzheit? Oder bleibt die Fragmentarität des Leibes, der Wahrnehmung, der Erfahrung? Wird sie vielleicht erst in der Gegenüberstellung greifbar?
Inwiefern können zwei dem Tod so nahe stehenden Verfahren wie die Pathologie und die Fotografie einander animieren? Um gerade diese Offenheit, diese irritierende Öffnung geht es Thomas Bruns sowohl in seinen Bildern als auch mit seinem Eingriff. An diesem Ort von Forschung und historischer Distanz wird inmitten der sonst so abgeschlossenen, beschrifteten Behälter ein unbeschriebener Freiraum geschaffen, in dem Affekt und Empfindung mit Beobachtung und Lernen einhergehen dürfen, in dem die Kunst und die Medizin und vor allem wir als Betrachter dazu animiert werden, unseren Blick in den Blick zu nehmen.
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Ecken prüfen oder The art of framing buildings
Thibaut de Ruyter
Galerie ABEL Neue Kunst, Berlin
9. September – 14. Oktober 2006
Eröffnung: 8. September 2006, 20 Uhr
Künstlergespräch: 21. September 2006, 20 Uhr
Architekturfotografie ist eine Kunst, die wie jede Kunstform Regeln unterliegt, die beachtet werden wollen. Wer aus dem Kanon berühmter Vorbilder ausbrechen will, muss neue Wege der Produktion finden, geheiligte Prinzipien brechen, nach ungewohnten Formen des Ausdrucks suchen und Blickwinkel verändern.
Thomas Bruns, 1966 geboren, studierte Fotografie an der Universität Gesamthochschule Essen, ehemals Folkwang Schule, und der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Er publiziert seine Fotos in »L’Architecture d’Aujourd’hui« und anderen Zeitschriften. Seine jüngsten Arbeiten über die Institute der Psychiatrie und der Pathologie der Charité sind in zwei Büchern veröffentlicht. Ein Portfolio seiner Berlin-Fotografien zeigt Thomas Bruns in der aktuellen Sonderausgabe von »art press«. Seit zehn Jahren arbeitet er an einer Serie von Berlin-Bildern, die eine Realität zeigen, die die meisten Architekten und Urbanisten lieber unbemerkt ließen.
In der Architekturfotografie geht es um Frontalität und um Raum. Der Betrachter soll den Eindruck vermittelt bekommen, im Moment der Aufnahme vor Ort gewesen zu sein. Sie muss den Raum und die vom Architekten entworfenen Proportionen zeigen. Solche Bilder sind gleichermaßen informativ wie verlogen. Sie zeigen eine offizielle Realität, in der das Gebäude im besten Winkel und in idealem Licht erscheint. Das Wetter ist strahlend und die Besucher – falls vorhanden – sehen aus wie Topmodels, die über sauber glänzende Böden laufen. Die meisten Bilder in Architekturpublikationen werden direkt nach der Fertigstellung aufgenommen, noch bevor die Benutzer das Gebäude beziehen, sich hinter Zimmerpflanzen verbarrikadieren, Vorhänge aufhängen und Kaffeebecher auf ihren Designer-Schreibtischen herumstehen lassen. Der Ausschnitt des Fotos ist dabei so sorgfältig gewählt, dass störende Gegenstände ausgeblendet werden.
Für die beiden Serien, die in dieser Ausstellung zum ersten Mal gezeigt werden – die niederländische Botschaft an der Spree und bekannte wie unbekannte Berliner Orte –, fotografierte Thomas Bruns die Gebäude in ihrer brutalen Alltagsexistenz: Leute trinken Bier mit Blick auf das ICC oder grillen Bratwürste im Park hinter einem ehemaligen Krankenhaus. Auf einer riesigen Reklametafel vor einem anthropomorphen Gebäude räkelt sich eine Männerbrust. Die Treppen von Dominique Perraults Schwimmbad bleiben garantiert ungenutzt und die Samstagnachmittags-Shopper scheren sich nicht um Schinkel. Diese Bilder folgen den üblichen Regeln der Architekturfotografie, nur mit dem Unterschied, dass sie wenige Sekunden zu früh oder zu spät aufgenommen wurden. Der gewählte Winkel ist etwas zu weit geraten und der Bildausschnitt zeigt einen Moment zu viel. Die Umgebung, Autos, das tägliche Leben, haben sich ins Bild geschlichen. Architekturaufnahmen sind leicht zu beschneiden, so kann man auch den Ausschnitt der Bilder von Thomas Bruns verändern, um eine klassische Aufnahme daraus zu machen. Allerdings ist die Wirklichkeit weder repräsentativ noch entsprechen Repräsentationen der Wirklichkeit.
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Die Normalität der Psychiatrie
Maik Schlüter
Die Fotografien von Thomas Bruns entstanden als Auftragsarbeit für das Berliner Medizinhistorische Museum und sind Teil einer Ausstellung zur Geschichte der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité. Er zeigt in seiner Arbeit unterschiedliche Räume der Psychiatrischen Klinik. Die Raumansichten können auf den ersten Blick nicht als Aufenthaltsräume oder Untersuchungs- und Gesprächszimmer der Psychiatrie benannt werden. Vielmehr bilden sie die alltägliche Seite von Krankenhausarchitektur und -inneneinrichtung ab. Bruns präsentiert in seiner Arbeit anonyme Flure, blickt in möblierte Aufenthaltsräume und leere Raucherzimmer, fotografiert ein Arztzimmer oder den Speiseraum.
Es lassen sich zwei Arten von Räumen definieren: Untersuchungs- und Gesprächszimmer, Räume also, in denen therapeutisch-medizinische Anwendungen stattfinden und solche, die dem Aufenthalt, dem Warten und der Erholung der Patienten und ihrem privaten Besuch vorbehalten sind. Diese Räume gleichen sich auf fast jeder medizinischen Station, egal, ob es sich dabei um die Innere, die Kardiologie, die Kieferchirurgie oder die Psychiatrie handelt. Einfacher würden unterschiedliche Stationen vermutlich zu unterscheiden sein, wenn wir Aufnahmen unterschiedlicher Patienten vor uns hätten: Eine Augenklappe würde auf die Augenklinik, der Schlauch in der Nase und die Verbände und Pflaster am Hals auf die HNO Klinik etc. verweisen. Aber könnten wir auch einen Herzpatienten von einem Krebskranken unterscheiden und würden wir dem Gesicht eines Menschen ansehen, ob er nierenkrank ist oder unter Depressionen, Angstzuständen oder einer Psychose leidet? Diese Qualifizierung würde sicher schwer fallen und auch die Fotografie könnte hier nur über den Weg einer sehr direkten Darstellung von Leid Eindeutigkeit erlangen. Oder der Fotograf bediente sich einer theatralischen und emotional überzogenen Darstellung und würde auf diesem Weg die Betrachter und ihre Vorstellungen stimulieren.
Thomas Bruns wählt eine diskrete und distanzierte Herangehensweise für seine Arbeit. Er zeigt keine Menschen, sondern räumliche Bedingungen. Gang, Fahrstuhl, Aufenthaltsraum und Krankenbett sind zwar eindeutig Krankenhausinterieur, aber welche Station es ist, bleibt zunächst unklar. Und vielleicht geht es dem Fotografen auch gar nicht darum, einen authentischen Blick in die psychiatrische Station zu werfen, sondern eher darum, eine bestimmte Raumsituation zu zeigen, die stellvertretend für das Krankenhaus sein kann. Kein Ort ist stärker mit unangenehmen Gefühlen besetzt als die Klinik. Krankheit und Tod sind dort beheimatet. Gleichzeitig steht das Krankenhaus für Hoffnung, Heilung und Fürsorge. Es ist aber nicht nur ein Ort der sanften Caritas, sondern verkörpert auch die Anwendung von medizinischer Technik und wissenschaftlicher Analyse. Der Aufenthalt ist meist unfreiwillig. Die Gefühle dem Krankenhaus gegenüber sind deshalb immer zwiespältig.
Thomas Bruns lässt sich in seiner Arbeit von diesen widersprüchlichen Gefühlen nicht dominieren. Ihm gelingt eine nüchterne und sensible Darstellung eines schwierigen Sujets. Wenn das Krankenhaus mit ambivalenten Gefühlen besetzt ist, dann gilt dies für die Psychiatrie und Neurologie erst recht. Kaum ein therapeutischer Bereich ist mit so vielen Irritationen, Vorurteilen, diffusen Gefühle und Ängsten belegt. »Psychiatrie gleich Irrenhaus« ist leider viel zu oft die triviale Gleichung der Unkenntnis. Jede andere Krankheit ist irgendwie herzuleiten, ist physischer Natur und eben Schicksal. Psychisch krank zu sein dagegen wird schnell zu einem Menetekel, zu einer Strafe oder einer Gefahr umgedeutet. Die Darstellung oder Wahrnehmung der Psychiatrie ist oft eindimensional und schematisch. Es gibt entweder den gefährlichen Psychopathen, der weggesperrt werden muss oder es gibt den neurotischen Kranken, der sich irgendwelcher eingebildeten Symptome bedient. Umgangssprachlich wird von Anstalten und Insassen gesprochen, wenn psychiatrische Kliniken und Patienten gemeint sind. Worte die eher an Gefängnis, Strafe und Aussätzigkeit erinnern, als an die Alltäglichkeit von Medizin, Wissenschaft, Therapie oder Krankheitsbildern. Oder es wird an Kurkliniken gedacht, in denen sich die erholen, die nicht arbeiten wollen, die überspannt sind und sich um ihre privaten Malaisen kümmern. In jedem Fall haben die Patienten und die Kliniken nichts mit der Welt der vermeintlich Normalen zu tun.
Thomas Bruns zeigt uns ein anderes Bild und bildet die Alltäglichkeit und Normalität der Psychiatrie ab. Mit der Großformatkamera hat er unaufgeregte und sehr klare Bilder geschaffen. Er hat vorher mit Patienten gesprochen, um ein Gefühl für die Räume zu bekommen und um herauszufinden, wie sich die Patienten in diesen Räumen wieder finden. Er verfällt aber nicht dem falschen Anspruch diese geschilderten Emotionen in bedeutungsschwere Bilder zu übersetzten. Bruns dekliniert unterschiedliche Details mit der Kamera und interpretiert vorsichtig. Er zeigt den Speisesaal als funktionalen Raum, den eine nicht selbst gewählte Gemeinschaft sich teilen muss und der eben nicht mehr als eine »funktionale Behaglichkeit« ausstrahlt. Die Orte des öffentlichen Durchgangs, wie ein Flur oder ein Fahrstuhl, strahlen auf seinen Fotografien jene Kühle und Gleichgültigkeit aus, die ihnen eigen ist. Die fotografierten Arrangements der Möbel in den Aufenthaltsräumen wirken unspektakulär und bekommen erst durch das Wissen, dass es sich um die Psychiatrie handelt, einen spezifischen Charakter. Dieser Charakter liegt aber weniger in den Fotografien selbst, als vielmehr im Betrachter begründet, der die Tendenz hat, bestimmte Orte auch mit bestimmten Projektionen oder Unterstellungen anzufüllen. Das Bild »Dienstzimmer Arzt« zeigt eine Konstellation von Stühlen. Auch wenn Arzt und Patient auf dem Bild nicht anwesend sind, wird hier eine Beziehung beschrieben. Die Stühle sind voneinander abgewandt und der Arztstuhl ist komfortabler als der Patientenstuhl. Dennoch drückt sich in der gezeigten Situation keine klare Hierarchie aus. Die Unordnung lässt eher an einen dynamischen Prozess denken, der eine dialogische und gleichberechtigte Begegnung befördert. Das Bild »Innenhof« ist auf Anregung einer Patientin entstanden. Das Sujets führt exemplarisch vor, wie selektiv die Wahrnehmung einer einzelnen Person ist. Der Innenhof der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité ist großzügig und begrünt und für viele Patienten ein Ort der Ruhe und Entspannung. Das Bild lässt aber eher an einen trüben und wenig gastlichen Ort denken als an Luft, Licht, Atmen und dem Gefühl allmählicher Genesung.
Hier wählt der Fotograf aus, spitzt zu und verfälscht möglicherweise die Situation. Aber das ist das Wesen der Fotografie und das ist ihre Qualität, nämlich auf der Folie von Wirklichkeit subjektive Eindrücke zu vermitteln. Die Arbeit von Thomas Bruns ermöglicht eine seriöse und klare Auseinandersetzung mit den vielfach unbekannten Räumen der Psychiatrie. Diese sind alltäglicher als wir annehmen und sie sind auch näher an unserem Leben als behauptet wird. Der Blick des Fotografen auf die äußeren Bedingungen und räumlichen Konstellationen der Psychiatrie belegt dies deutlich.
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Bauwerke mit Seele
Christiane Meixner
Aus der Berliner Morgenpost vom 14. September 2006
Eigenwillige Ausstellung des Foto-Künstlers Thomas Bruns
Wie ein großes, mattes Tier liegt das ICC an der Straße. Mit silbrig schimmernden Panzer und dennoch müde von der ganzen Lebenszeit und den Kämpfen der jüngeren Vergangenheit. Fast schon eine Agonie. Ein Wunder ist es nicht, das Haus hat schließlich mächtige Feinde, die es niederreißen wollen. Dabei ist es ein Stück der eigenen Geschichte - jener tachogenen siebziger Jahre, in denen man versessen auf Visionen war und von einer weltraumhaften Zukunft träumte.
Thomas Bruns hat das Messegebäude nicht unbedingt mit dieser Lesart aufgenommen. Dass man es dennoch so sehen kann, liegt am eigenwilligen Blick, den der Fotograf und Absolvent der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst auf seine Motive in Berlin wirft. Weder frontal, noch zentralperspektivisch, wie es die Architekturfotografie gern zelebriert. Sondern aus verschrobenen Perspektiven, die dem Ort statt künstlicher Aura etwas ganz anderes verleihen: einen unverwechselbaren Charakter.
Seit zehn Jahren arbeitet Bruns an seiner Serie, die nun in der aktuellen Sonderausgabe des französischen Kunstmagazins "art press" und parallel auch in der Galerie Abel Neue Kunst zu sehen ist. Bilder einer urbanen Realität, die zwar professionell festgehalten und dennoch fern von jedem Glamour ist. Dafür spiegeln sie die Realität auf eine andere Weise - als konstruktives Chaos, das sich aus großen architektonischen Gesten und ihrer Unterwanderung im Alltag zusammensetzt. Grünpflanzen auf einer nackten Treppe von Rem Koolhaas neben desinteressierten Spaziergängern vor einer Kirche Schinkels. Aus solchen Momenten erwachsen die Stimmungen, die den Häusern oder gebauten Details eine Seele geben. Nicht immer zu ihrem Vorteil - schließlich müssen sie mit ansehen, wie unpfleglich man mit ihnen umgeht.
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Thomas Bruns
Fotografie
Architektur
Auftrag
Bauten, Räume, urbane Landschaften, Museen,
temporäre Architektur
Kurzer Moment der Leere 2021
für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
zum Abschluss der Sanierung im Frühjahr 2021
Geschlossen/Closed 2016-2021
Dokumentation der Sanierung. Für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Schlachtensee und Adlershof
Architektur von Fehling und Gogel, (Schlachtensee),
Die Zusammenarbeiter (Adlershof), für die Studentendorf Schlachtensee eG, 2022
Architektur
Frei
Bauten, Räume, urbane Landschaften, Museen,
temporäre Architektur
Unendlicher Spaß – 24 Stunden durch den utopischen Westen Reiseführer zu den Spielstätten der 24-Stunden-Inszenierung nach dem Roman Unendlicher Spaß von David Foster Wallace
Objekte
Exponate, Skulpturen, Dinge, Sachen, Werke, Stills
Die Liste der „Gottbegnadeten" Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik für das Deutsche Historische Museum
Exponatfotografie für Ausstellung und Publikation
kuratiert von Catherine Nichols
fur das Deutsche Hygiene Museum Dresden
Publikationen
Ausstellungskataloge, Bücher
Kontakt
Thomas Bruns Fotografie
Lehrter Straße 57, Haus 1, 10557 Berlin
Tel +49 (0)30 - 398 337 74
Mob +49 (0)177- 659 47 00
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Thomas Bruns
Fotografie
Architektur
Auftrag
Bauten, Räume, urbane Landschaften, Museen,
temporäre Architektur
Kurzer Moment der Leere 2021
für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
zum Abschluss der Sanierung im Frühjahr 2021
Geschlossen/Closed 2016-2021
Dokumentation der Sanierung. Für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
für heneghan peng architects
für fatkoehl architekten BARarchitekten carpaneto architekten
Ausstellungsdokumentation Michael Beutler, Hamburger Bahnhof
Dokumentation der Installation von David Chipperfield
für heneghan peng architects
Schlachtensee und Adlershof
Architektur von Fehling und Gogel, (Schlachtensee),
Die Zusammenarbeiter (Adlershof), für die Studentendorf Schlachtensee eG, 2022
Berlin 2000-2021
Unendlicher Spaß – 24 Stunden durch den utopischen Westen Reiseführer zu den Spielstätten der 24-Stunden-Inszenierung nach dem Roman Unendlicher Spaß von David Foster Wallace
Berlin 2000-2008
Zoo 2003-2015
Objekte
Exponate, Skulpturen, Dinge, Sachen, Werke, Stills
Die Liste der „Gottbegnadeten" Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik für das Deutsche Historische Museum
für das documenta archiv, documenta gGmbH, 2021-2022
Exponatfotografie für Ausstellung und Publikation
kuratiert von Catherine Nichols
fur das Deutsche Hygiene Museum Dresden
Geschichte Sammeln, Deutsches Historisches Museum
Prothetiksammlung des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden
Objekte und Räume
Publikationen
Ausstellungskataloge, Bücher
Kontakt
Thomas Bruns Fotografie
Lehrter Straße 57, Haus 1, 10557 Berlin
Tel +49 (0)30 - 398 337 74
Mob +49 (0)177- 659 47 00
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